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Interview: Mit Vernunft an der Energiewende arbeiten (Interview: Mit Vernunft an der Energiewende arbeiten)

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Interview: Mit Vernunft an der Energiewende arbeiten

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Ernst Ulrich von Weizsäcker

Hannes Schlosser: Ein wichtiges Thema in Österreich sind derzeit erneuerbare Energien. Es gibt einen Boom an Wasserkraftwerken, man will überall Windräder aufstellen etc. Der Alpenverein ist eine der wenigen Institutionen, die sich zumindest gegen größere Projekte zur Wehr setzt. Wie sehen Sie diese Position?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich finde das vernünftig. Zusätzliche Beiträge der Wasserkraft aus den Alpen bleiben eher gering. Das, was schon da ist, ist vernünftig. Im 19. Jahrhundert hat man das, was wirklich gut nutzbar war, schon recht gut genutzt. Man hat es dann im 20. Jahrhundert noch ausgebaut. Solange man die Energie- und speziell Stromspartechnologien hoffnungslos vernachlässigt, ist eine Erweiterung des Stromangebots nicht das Gebot der Stunde. Wenn aber meinetwegen im Tief- oder Hügelland kleine Wasserkraft reaktiviert wird, wo etwa früher einmal eine Mühle war und geeignete Fischtreppen vorhanden sind, dann kann das ökologisch ganz vernünftig sein. Das gilt auch die Ertüchtigung von existierenden Wasserkraftwerken. In Rheinfelden am Rhein hat man die Stromproduktionskapazität ohne einen nennenswerten zusätzlichen Natureingriff ungefähr verdreifacht. Aber dass man jetzt sozusagen mit dem Helikopter ausspäht, wo könnten wir noch etwas Wasserkraft abzapfen, ist wirtschaftlich nicht sehr vernünftig und für die Natur und ihre Schönheit ein Schaden.

Schlosser: Sie sind also der Auffassung, dass man im alpinen Bereich mit dem das Auslangen finden soll, was wir jetzt haben?
Weizsäcker: Im Wesentlichen ja. Aber ich würde es gerne lokal sehen: Wenn die lokale Bevölkerung unbedingt sich selber versorgen will, dabei ästhetische und touristische Gesichtspunkte wirklich voll berücksichtigt, soll man nicht dogmatisch dagegen sein. Aber zu glauben, dass die Wasserkraft energiepolitisch einen wesentlichen Zuwachs bringen kann, das ist eine blanke Illusion.

Schlosser: Der österreichische Umweltminister hat wiederholt angekündigt: „Ich möchte für Österreich die Energieautarkie erreichen bis 2050.“ Halten Sie eine regionale Energieautarkie für eine gute Idee?
Weizsäcker: Minister Niki Berlakovich hat mich auch selber darauf angesprochen und eingeladen, in einen Beratungskreis für dieses Projekt zu kommen. Ich halte es im Prinzip für eine vernünftige Idee, aber nur dann, wenn es mit einer entschlossenen Politik der Energieeffizienzverbesserung verbunden ist. Denn mit dem heutigen Verschwendungsstil energieautark zu werden, das ist unvernünftig. Dann bräuchte man furchtbar viel Bioenergie, was ökologisch problematisch ist, noch mehr Wasserkraft, was ökologisch auch an Grenzen stößt oder Windkraft an Stellen, wo sie eigentlich nicht hingehört. In Deutschland bin ich an vielen Stellen sehr für die Windkraft, insbesondere dort, wo die Landschaft ansonsten langweilig aussieht – aber das ist ja in den Alpen nicht der Fall.
Es ist im Prinzip auch vernünftig, wenn man von tschechischem Atomstrom unabhängig werden will. Aber die Hauptmiete muss man einfahren durch Effizienz. Im Vortrag habe ich einige Beispiele genannt: Beleuchtungskörper, Bauten, Mobilität. Es gilt aber auch für unsere Essgewohnheiten: Diese sind gegenwärtig ungeheuer energieintensiv und auch da ist eine Reduktion um den  Faktor 4 oder 5 möglich. Wenn man es schafft, den Energieverbrauch Österreichs auf ein Drittel oder gar ein Fünftel zu senken, dann ist Energieautarkie das Vernünftigste von der Welt.

Schlosser Fühlen Sie sich nicht öfters als Don Quijote, wenn sie mit dem Thema Energieeffizienz durch die Lande ziehen. Man stimmt ihnen überall zu, aber tatsächlich geschieht eine andere Politik?
Weizsäcker: Ich fühle mich nicht als Don Quijote, aber ich weiß ganz genau, dass unter den heutigen Marktbedingungen die ganzen schönen Effizienzideen nicht realisierbar sind. Ich weiß genau, dass die Kapitalrendite für eine Passivhaussanierung sehr mager ist. Diese würde dramatisch verbessert, wenn jeder wüsste, dass Energie im Laufe der Jahre in kleinen Schritten teurer wird. Da würde die Amortisationszeit gewaltig zusammenschrumpfen. Plötzlich würde jede lokale Sparkasse, jede Raiffeisenbank, den Häuserinvestoren das Geld nachwerfen, während sie heute sehr zögernd sind und sagen, das Geld können wir nur jemandem geben, der wirklich finanziell sehr solide dasteht. Alleine an so einem einfachen Beispiel sieht man, warum es nicht passiert. Ich benehme mich nicht als Don Quijote, sondern ich sage als einer von ganz wenigen, der Effizienzbeweis genügt überhaupt nicht, die Effizienzrentabilität muss her.

Schlosser: Aber wie ist diese durchsetzbar? In Vorarlberg wurden Wohnsiedlungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren mit Faktor 10 saniert. Diese hervorragenden Projekte haben tatsächlich so geheißen, weil der gesamte Energiebedarf auf ein Zehntel reduziert werden konnte. Die Gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften haben dazu Geld von der Vorarlberger Landesregierung aus der Wohnbauförderung bekommen. Jetzt sagen sie: „Wir haben den Beweis erbracht, dass es funktioniert. Aber wir bekommen nicht mehr diese Förderungen von der Landesregierung, also ist es nicht rentabel.“ Sie  machen jetzt Sanierungen, wo vielleicht Faktor 3 oder 5 herauskommt. Das ist auch noch gut und schön, aber trotzdem eine vergebene Chance.
Weizsäcker: Das ist wieder genau die gleiche Geschichte. Bisher spielt sich diese Politik im Wesentlichen dadurch ab, dass der Staat Geld gibt. Das hat seinerzeit funktioniert, als die Kassen voll waren. Heute funktioniert das nicht mehr. Nachdem man Dutzende von Banken hat retten müssen und noch nicht weiß, wie schlimm das noch weiter geht, ist die Möglichkeit eines österreichischen Bundeslandes oder des Bundes insgesamt – auch entsprechend in Deutschland oder Frankreich –, Energieeffizienz zu subventionieren, auf ein Minimum geschrumpft. Daher wird das nicht genügen. Die aktive Energieverteuerung ist realpolitisch viel realistischer als die Hoffnung auf die gütige staatliche Gießkanne.

Schlosser: Aber wie ist das konkret durch- und umsetzbar?
Weizsäcker: Ich benutze manchmal das Sinnbild der Zahnpasta. Um gesunde Zähne zu haben braucht man dreierlei. Erstens: man muss wissen, dass Zähneputzen den Zähnen gut tut – eine Bewusstseinsfrage. Zweitens: man braucht Druck, damit Zahnpasta aus der Tube auch rauskommt. Das ist das, wonach immer politisch zuerst gefragt wird: „Wo kommt der Druck her?“ Die erste Frage lautet nicht: „Wo kommt die Aufklärung her?“, sondern immer wo der Druck herkommt. Und drittens braucht man das technische Wissen, dass man erst den Deckel abschrauben muss; denn wenn man nur Druck erzeugt und nur Bewusstsein hat, dann platzt die Tube. Also, man braucht das technische Know-how, um mit sanftem Druck hohen gesundheitlichen Effekt zu haben. Und in diese Richtung gehen meine Überlegungen: Bewusstsein schaffen – eine technische Revolution ist heute abgreifbar und macht uns reicher; politischer Druck, damit es sich auch endlich ändert in den Parlamenten, Regierungen, Medien und so, und schließlich muss man wissen, was zu machen ist. Zum Beispiel klassische Handwerker ausbilden auf Wärmeaustauscherbelüftung. Manche heutige Klima-Sanitär-Heizungsleute haben ja keine Ahnung, wie das geht. Daher muss man diese Leute schulen. Das wird dann nach kürzester Zeit ein Selbstläufer. Aber dieses zum Teil wirklich technische Wissen muss systematisch entwickelt werden. Und gegebenenfalls muss man dann auch bei den Raiffeisenkassen oder wo immer Finanzierungsmechanismen finden. Ich sage jetzt ausdrücklich nicht staatliche Finanzierung. Auf den Staat zu warten nach diesen fürchterlichen Entwicklungen der letzten drei Jahre, ist leider ein hoffnungsloses Unterfangen.

Schlosser: Sie haben in Ihrem Vortrag nachdrücklich thematisiert, dass wir beim Abschmelzen des Eises von Grönland schon sehr weit fortgeschritten sind, womit droht, dass wesentliche Teile von hochindustrialisierten Ländern in Europa und Asien absaufen. Trotzdem, wenn man sich die Beschlüsse der Klimakonferenzen anschaut, es passiert genau genommen nichts. Wo nehmen Sie den Optimismus her, dass Sie noch sagen können: „Okay, wir werden die Kurve trotzdem noch rechtzeitig bekommen.“?
Weizsäcker: Ich sage nicht, wir werden sie noch rechtzeitig bekommen. Nur die Strategie, dass Europa und Asien sich zusammentun, um die Technologie des neuen Kondratjew-Zyklus zu entwickeln und in Breite anzuwenden, diese Strategie ist nicht angewiesen auf diplomatische Erfolge bei der Klimakonferenz. Das können wir einfach machen. Und wenn sich das dann ein bisschen herumspricht, dann werden die Chinesen die ersten sein, die sagen: „Donnerwetter, diese Japaner und Europäer, die haben ja recht. Da müssen wir unbedingt mitmachen.“ Und wenn die Chinesen mitmachen, dann machen irgendwann auch die Amerikaner mit.

Schlosser: Muss dieses Modell, das Sie ansprechen, von der Regierungsebene ausgehen, also von oben nach unten kommen oder ist das etwas, das sich graswurzelartig entwickeln kann und muss?
Weizsäcker: Beides. Ich habe ja meinen Vortrag begonnen mit einer Verneigung vor den Leuten, die heute am 15. Oktober 2011 gegen das arrogante Bankenwesen protestieren. Das ist Graswurzel, da ist nichts von der Regierung gekommen. Und beim Umweltschutz, beim Schutz der Alpenschönheit, das kommt auch nicht von der Regierung – das kommt eigentlich alles von unten. Aber bestimmte Dinge, wie zum Beispiel die sozial- und wirtschaftsverträgliche, langsame Verteuerung von Energie, das kann nur der Staat. Also brauchen wir im Sinne einer gesellschaftlichen Rollenteilung einige staatliche Entscheidungen. Weiters brauchen wir unternehmerische Entscheidungen, die darauf vernünftig reagieren, zum Beispiel beim einzelnen Hausbauer, aber auch beim Industriekonzern wie Siemens – die schalten gerade sehr stark auf Effizienz um. Und dann brauchen wir Dinge, die eigentlich nur am Leben erhalten werden können durch Bewegungen von unten, also Graswurzel.

Schlosser: Ist die Energiewende aus dieser Perspektive betrachtet notwendigerweise mit einem Demokratisierungsschub verbunden?
Weizsäcker: Ja und nein. Ja, weil das Volk soll und muss mitmachen, soll Freude dabei verspüren. Aber, nachdem ich so lange in Amerika gelebt habe, habe ich durchaus manche Vorbehalte gegen die Heiligsprechung des Volkes. Diese Tea-Parties – das ist ja nun wirklich Volk, und es ist Anti-Staat – sind die Zerstörer des Staates.  Und obwohl sie in diesem Punkt ein absolut nachvollziehbares Motiv haben, dass der Staat sich nicht so stark verschulden darf, sind die Tea-Parties im Wesentlichen destruktiv. Auch in Europa kann vom Fremdenhass bis zum Zynismus gegenüber dem Alpenverein vieles von Volkes Stimme kommen. Die Autofahrer-Parteien aller Staaten sind alle tendenziell egoistische Zyniker – und sie gut zu finden, bloß weil sie auch Volk sind, bringe ich nicht über die Lippen.

Schlosser: Sie beraten den österreichischen Umweltminister, haben eine lange politische Karriere in Deutschland hinter sich und sind auch dort in diversen Gremien dabei. Sie sitzen mit Ministern und Regierungschefs und –chefinnen an einem Tisch. Was ernten Sie von denen für Reaktionen, wenn Sie Ihre Vorschläge unterbreiten?
Weizsäcker: Es ist ein bisschen unterschiedlich. Auf internationaler Ebene, also zum Beispiel beim Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms Achim Steiner, der schaut das mit größtem Interesse und größter Sympathie an. Der deutschen Bundeskanzlerin habe ich diese Sachen noch nicht vorgetragen, aber sie kennt Faktor 4 und Faktor 5 vermutlich und findet das im Prinzip eine ganz vernünftige Richtung. Das hat sie sicher mit motiviert, ihren etwas schnelleren Ausstieg aus der Atomenergie politisch in ihrer eigenen Partei durchzusetzen. Aber ich will mir nicht einbilden, dass ich daran das Verdienst habe. An anderen Stellen, wie zum Beispiel der Gewerkschaft BCE Bergbau-Chemie-Energie in Deutschland, da stoße ich noch öfter auf Skepsis. Das sind die energieintensiven Industrien. Aber immerhin, mit einigen von denen komme ich ganz gut aus.

Schlosser: Sehen Sie Schritte in Richtung Energieverteuerung – sind wir am Weg?
Weizsäcker: In den letzten zehn Jahren ist es von selbst passiert, aus ganz anderen Gründen. Da hat Fukushima ganz zum Schluss auch noch einmal gewirkt. Aber die Hauptsache ist, dass man jedenfalls das jetzige Niveau hält, und ich habe das Gefühl, dafür würde man heute schon politische Mehrheiten finden, nicht in den USA, aber in Europa und Asien.

Schlosser: Die Energieeffizienz ist ein Konzept, das auf ganz vielen Beinen steht. Es gibt eben nicht den einen entscheidenden Schritt, sondern es braucht tausend Schritte. Was kann man tun, um diese Komplexheit besser zu vermitteln?
Weizsäcker: Zunächst einmal, man muss sie erkennen, wie Sie das ja jetzt sehr schön gemacht haben, und wissen, dass es nicht so einfach ist. Dann muss man die politischen Instrumente so wählen, dass sie der Komplexität gerecht werden. Deswegen habe ich das absurde Beispiel von diesem Erdbeerjoghurt erzählt, das 8.000 Kilometer durch Europa fährt, bevor es bei Ihnen auf dem Frühstückstisch landet. Wenn man versucht, auf jede solche Mücke mit einem Gewehr zu schießen, dann hat man einen gewaltigen Gewehrdonner, aber viel mehr Nebenschäden als Nutzen. Hingegen, wenn man es mit einer sanften Preispolitik macht, dann kann man der Komplexität wunderbar gerecht werden. Im Übrigen: die Pädagogik an der Grundschule, ja schon im Kindergarten, kann anfangen, dieser Komplexität gerecht zu werden.

Schlosser: Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie haben in der Diskussion zu ihrem Vortrag erwähnt, dass Sie seit 15 Jahren Mitglied des Oesterreichischen Alpenvereins sind. Wie ist das gekommen?
Weizsäcker: Meine Eltern haben vor etwa 60 Jahren ein auf 1.800 Meter gelegenes Almhaus in Osttirol gekauft, wo wir als Kinder viele Sommerferien verbracht haben. Als meine Frau und ich dann selber Kinder hatten, waren wir auch sehr häufig dort und mit den lokalen Alpenvereinsleuten immer befreundet. Irgendwann hat meine Frau die Initiative ergriffen, ich solle meine Mitgliedschaft in der Sektion Bonn im Deutschen Alpenverein gewissermaßen umtauschen gegen eine österreichische. In Bonn waren wir im Alpenvereinsleben nie aktiv, dagegen in Osttirol immer.

Schlosser: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

 
 
 
 

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