Warum wollen wir mit unseren Kindern in die Berge? Wegen uns? Wegen der Kinder? Theoretisch ist die Antwort einfach: Alle Beteiligten sollen auf ihre Kosten kommen und einen wunderbaren Tag draußen in den Bergen erleben. Dass es in der Praxis nicht so einfach ist, wissen bergbegeisterte Eltern nur zu gut - denn: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen!
Ein Kapitel aus dem SicherAmBerg Booklet Bergwandern des Alpenvereins. Texte von Gerhard Mössmer. Bilder: Gerhard Mössmer, Norbert Freudenthaler.
Mama hat die ganze Woche gearbeitet, Papa vorbildlich den Haushalt geführt und sich um die beiden Kinder gekümmert. Am Wochenende wollen die Eltern gemeinsam etwas unternehmen. Vor allem Mama möchte sich in der frischen Luft ausgiebig bewegen, sozusagen eine Trainingseinheit absolvieren. Was bietet sich da besser an, als eine Expedition zur "Kasermandl-Alm"? Bereits am Start liegt spürbare Nervosität in der Luft: Mama will endlich los! Gefühlte Stunden später sind Moritz und Lilli endlich abmarschbereit. Es kann losgehen. Moritz, 6 Jahre alt, saust voraus. Lilli, 3 Jahre, eben erst in der Kraxe verstaut, will nun auch selber gehen. Zumindest die ersten 100 Meter. Nicht Stop or Go sondern Stop and Go ist also die zermürbende Devise für die zunehmend ungeduldig werdenden Eltern.
Ein typischer Fall von unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Ein (Klein)kind hat nicht das Bestreben, bewusst Sport zu betreiben. Es stöbert am Wegesrand Tannenzapfen auf, macht sich auf die Jagd nach einem vorbeihuschenden Eichhörnchen, wälzt sich im Schnee und will seinen kleinen, eigenen Mikrokosmos, gespickt mit Abenteuern im Hier und Jetzt entdecken. Zeit und Ziel spielen dabei keine Rolle.
Der wichtigste aller Grundsätze für das Gelingen einer Bergwanderung mit der Familie lautet daher: Wir begleiten unsere Kinder in die Berge und nicht sie uns.
Schaffen wir es, dies zu beachten, ist der Grundstein für die erfolgreiche Familien-Wanderung bereits gelegt. Eltern, die bei dem Gedanken, mit ihren Kindern in die Berge zu gehen, das Bild von langweiligen Forstwegen und "pensionistentauglichen" Spazierwegen im Kopf haben, irren gewaltig. Bergwandern mit Kindern bietet um vieles mehr, als so manche Jungeltern glauben möchten. Auch mit Kindern ist die Zeit der alpinistischen Abenteuer keineswegs vorbei. Zugegeben - die Herausforderung, mit den kleinen Gipfelstürmern unvergessliche Abenteuer in den Bergen zu erleben, ist anders gelagert, als die Nordwand der Großen Zinne zu klettern, aber bestimmt nicht minder groß.
Bergsport fördert die Entwicklung unserer Kinder, er formt und bereichert sie nachhaltig. Die Motive, warum wir mit unseren Kindern in die Berge gehen, sind weit vielfältiger, als "bloßes" Ausdauertraining für sie und uns.
Je nach Alter unterliegen Kinder völlig unterschiedlichen physischen und psychischen Kriterien. Entscheidend dafür, was wir mit unseren Kindern unternehmen können und was nicht, ist weniger das Alter, als vielmehr die Entwicklungsstufe, in der sich das Kind gerade befindet.
In der Planung müssen wir berücksichtigen, dass sich die Leistungsfähigkeit eines Kindes von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe stark ändert. Das heißt zwischen einem Vierjährigen und einer Fünfjährigen in der nächsten Entwicklungsstufe liegen Welten, was Ausdauer und Motorik, sowie Motivation, Erwartungshaltung und Emotionalität betrifft.
Die kleine Mona-Maleen bewältigt die Wanderung gemeinsam mit ihren beiden Geschwistern auf die Nockspitze bereits mit 3 Jahren problemlos, während das für den um ein Jahr älteren Jonas undenkbar ist.
Bevor das Kind nicht selbständig sitzen kann, soll es weder im Tragetuch und schon gar nicht in der Rückenkraxe auf eine Wanderung mitgenommen werden, da ansonsten eine Überlastung der Wirbelsäule droht. Zudem ist das raue Bergklima mit erhöhter Sonneneinstrahlung, Wind und Kälte nichts für Säuglinge. In diesen ersten Monaten des Kindes ist man besser beraten, wenn man mit dem – geländegängigen – Kinderwagen auf Forstwegen bleibt.
Können die Kinder selbständig sitzen, spricht nichts gegen kurze und leichte Wanderungen mit der Kraxe. Dabei sind wir den Wegen und Steigen leicht gewachsen, denn ein Sturz mit der Trage muss unbedingt vermieden werden. Zudem achten wir darauf, dass das Kind vor Sonne, Wind und Kälte perfekt geschützt ist und bequem sitzt, ohne dass die Beine eingeschnitten werden und der Kopf ständig schief hängt. Teure, dafür aber qualitativ hochwertige Tragen beugen dem vor, indem sie mit Kopf- und Beinstützen, sowie mit einem Sonnendach ausgestattet sind.
Auch den Babys in der Kraxe gönnen wir immer wieder eine Pause, wo sie krabbelnd und stolpernd ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachkommen können.
Kindergartenkinder wollen in erster Linie spielen und entdecken. Sie
haben einen großen Bewegungsdrang, ausgeprägte Neugier und eine
affektive – also gefühlsbetonte – Lernbereitschaft.
Umfang und Dauer
ihrer Konzentrationsfähigkeit, sowie ihre motorischen Fähigkeiten sind
noch recht gering. Über Wurzeln stolpern und im Schotter ausrutschen
gehören in diesem Alter dazu, da der natürliche Bewegungsdrang die noch
ungenügende Motorik bei weitem übertrifft. Solange wir die Kinder im
Auge behalten und es sich um ungefährliches Terrain handelt, ist dies
auch kein Problem. Besteht "Absturzgefahr" führen wir die Kleinen an der
Innenseite des Weges an der Hand.
In diesem Alter ist definitiv der Weg das Ziel. Die vielen kleinen Abenteuer entlang des Steiges sind es, die erlebt werden wollen. Das Wandern macht Spaß und erweckt die Neugier. Viele Pausen und auch Abschnitte, wo die Kinder getragen werden wollen, prägen das Bild des Ausfluges.
In dieser Entwicklungsstufe
entsteht bei den Kindern Interesse am Bergsport. Selbstverständlich sind
Wanderungen im Schulkindalter noch von spielerischen Elementen geprägt,
aber die Kinder beginnen, Ehrgeiz zu entwickeln, haben bereits einen
gewissen Leistungsdrang und wollen sich dabei mit Gleichaltrigen messen.
Die Schwierigkeit liegt nun darin, dass Schulkinder gefordert werden
wollen, wir sie aber nicht überfordern dürfen. Sie haben eine hohe
motorische Lernfähigkeit, ein ausgeprägtes Bewegungsbedürfnis mit
zunehmender Körperbeherrschung und längere Ausdauerbelastungen werden
nun gut bewältigt.
Achten müssen wir auf Überlastungen des Bewegungsapparates, da das Knochenwachstum bei Kindern noch nicht abgeschlossen ist. Kommt es durch einen zu schweren Rucksack oder häufiges und intensives Bergablaufen zu erhöhten, ungewohnten Beanspruchungen des Gelenksystems, kann dies in den knorpeligen Wachstumsfugen zu Schäden führen.
Die Konzentrationsfähigkeit
nimmt zu und die Motorik wird sicherer. Schwierigere Wege, Tagestouren
mit ca. 1.000 Höhenmetern und Mehrtagestouren sind möglich. Die Kinder
entwickeln Gefahrenbewusstsein und zeigen Verständnis für präventive
Sicherheitsmaßnahmen.
Nun kann mit der spielerischen Vermittlung alpiner Grundkenntnisse begonnen werden: Was gehört in den Rucksack? Was ist ein Biwaksack? Was sind Gewitterwolken? Was kann eine topografische Karte?
Pubertät! Bekanntermaßen findet in diesem
Alter der größte Umbruch im Leben eines Menschen statt. Der kindliche,
schier unbändige Bewegungsdrang lässt nach, das Interesse an
herausfordernden Unternehmungen wächst. In dieser Entwicklungsstufe
stehen in bergsportlicher Hinsicht nicht Bergwandern, sondern
Sportklettern und Bouldern hoch im Kurs.
Soziale Bedürfnisse, wie
Freunde treffen und in der Gruppe Sport betreiben, sind nun antreibende
Motive. Die Jugendlichen stellen hohe Ansprüche an sich selbst, lösen
sich zunehmend von Erwachsenen und orientieren sich an Gleichaltrigen.
Sie erwerben beim Bergsport soziale Kompetenzen wie Fairness,
Kooperations- und Hilfsbereitschaft.
Die physischen Voraussetzungen betreffend gibt es bei Jugendlichen keine Einschränkungen mehr beim Bergwandern. Es bleibt die zentrale Bedeutung der Motivation. Wir sprechen nun auch von intrinsischer Motivation, also der Entscheidung, "freiwillig" Bergtouren zu unternehmen.
Kindern geht es nicht anders als Erwachsenen auch: Ist Motivation im Überfluss vorhanden, ist alles gut. Nimmt sie ab, oder fehlt sie zur Gänze, brechen bei Kindern schnell alle Dämme. Wollen wir nun besagte "Expedition zur Kasermandl- Alm" erfolgreich bewältigen, spielt die Motivation eine beträchtliche Rolle.
Beinahe unabhängig vom Alter unserer Kinder erleichtern uns gewisse Faktoren, die Berg- und Wanderbegeisterung in den Kinderherzen zu wecken bzw. die Motivation aufrecht zu erhalten. Oder auch nicht. Lässt die Motivation nach, ist die "Schmerzgrenze" bei Kindern schneller erreicht als bei Erwachsenen und unter Druck und Zwang geht gar nichts mehr.
"Hör endlich auf zu sumsen und geh weiter, es ist ja eh nimmer weit!" Moritz mag nicht mehr und plärrend wird verweigert.
Im Grunde nicht wirklich überraschend, ist doch der elendslange "Hatscher" am Forstweg furchtbar öde. Wetterbedingte Faktoren wie Regen, Wind und Kälte aber auch Hitze nehmen ebenfalls Einfluss auf die Motivation. Typische Zeichen für aufkommende Unlust der Kinder sind Klagen über Hunger, schmerzende Füße und die ständige Frage, wie weit es denn noch sei. Zu allem Überdruss geraten sich dann womöglich noch die Elternteile in die Haare, da ein Teil mit Strenge, der andere aber mit Milde und Diplomatie parieren möchte. Als begleitende Eltern sind wir jedenfalls gut beraten, wenn wir die Beschwerden unserer Kinder ernst nehmen, sie aber auch nicht überbewerten.
Nur 20 Meter abseits der langweiligen Forststraße ist Moritz wieder motiviert: Hier, am Waldsteig, löst er sein eigenes, kleines "Boulderproblem" über die große Wurzel mit Bravour.
Während Moritz Vogelfedern sucht, sammelt Klein-Lilli schöne Steine und Tschurtschen. All die tollen Dinge verschwinden selbstverständlich, knapp neben Theo, dem Kuschelbären und der eigenen Jause, im Rucksack.
Sind wir mit Kindern unterwegs, ist - wie bei uns "Großen" übrigens auch - eine gründliche Planung unerlässlich. Demnach sind topografische Karte, Führerliteratur und aktueller Wetterbericht obligatorisch. Die Bergtour fängt quasi im Wohnzimmer, respektive im Kinderzimmer an. Um die passende Tour für die ganze Familie zu finden, setzen wir uns im Vorfeld mit folgenden Fragen auseinander:
Planen wir eine Tour mit Kindern, ist der Wetterbericht ein bedeutender Faktor. Kinder haben weniger Reserven und sind gegenüber äußeren Einflüssen empfindlicher.
Erleben Kinder ihre erste Wanderung positiv, wird diese Sportart auch künftig mit angenehmen Gefühlen verbunden und das Kind freut sich auf die nächste Tour. Deshalb kommt der richtig eingesetzten, kindergerechten Ausrüstung große Bedeutung zu. Wird hier am falschen Platz gespart, endet die erste Tour womöglich im Desaster und die Begeisterungsfähigkeit ist für längere Zeit passé.
Eine Gruppe mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und Erwartungshaltungen ist wohl die größte Herausforderung beim Bergwandern mit Kindern. Vor allem bei Familien mit mehreren Kindern ist dies praktisch immer der Fall.
Es bietet sich an, ein Tourenziel zu wählen, das für alle zu schaffen ist, wenn auch in unterschiedlichem Tempo. Indem wir die Gruppe entsprechend aufteilen und ausgiebige Pausen einplanen, wird die Wanderung gelingen. Sind noch gleichaltrige Spielkameraden mit dabei, dann lassen sich diese Pausen, sowie die gesamte Tour, noch interessanter gestalten.
Sind wir mit Kindern unterwegs, ist - wie bei uns "Großen" übrigens auch - eine gründliche Planung unerlässlich. Demnach sind topografische Karte, Führerliteratur und aktueller Wetterbericht obligatorisch. Die Bergtour fängt quasi im Wohnzimmer, respektive im Kinderzimmer an. Um die passende Tour für die ganze Familie zu finden, setzen wir uns im Vorfeld mit folgenden Fragen auseinander:
Haben wir im Zuge unserer Planung schlussendlich die passende Wanderung für uns und unsere Kinder gefunden, gilt es, unterwegs einige Dinge zu beachten. Allen voran steht selbstverständlich die volle Verantwortung für die Kinder während der gesamten Tour.
An ausgesetzten Stellen nehmen wir sie an der Weginnenseite an die Hand. Allerdings sollte nicht der Großteil der Wanderung absturzgefährdet sein, da dies den Kindern sehr viel Konzentration abverlangt, sie schneller ermüden und sie dann letztendlich auch leichter überfordert sind.
Wir starten die Tour ohne Hektik und betont langsam. Beginnen wir zu schnell, oder versuchen wir, die Kinder zu schnellerem Gehen anzutreiben, kommt bei ihnen der Leistungsabfall sehr rasch.
Es empfiehlt sich, das Kind vorausgehen zu lassen, damit es sein Tempo selbst bestimmen kann. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, bauen wir immer wieder Spiele ein, wie Pflanzen und Tiere beobachten oder von Stein zu Stein springen, etc.
Kinder ermüden öfter und schneller und haben zudem weniger Energiereserven als Erwachsene, allerdings erholen sie sich auch rasch wieder. Deshalb ist häufiges Rasten für Kinder wichtig, was wir in unserer großzügigen Zeitplanung einkalkuliert haben. Wichtig ist, dass immer dann gerastet wird, wenn die Kinder danach verlangen.
"Hör endlich auf zu sumsen und geh weiter, wir sind eh gleich da!"
Ein wahrer Motivationskiller! Es macht keinen Sinn, Kinder zum Durchhalten zu ermuntern und ihnen als Belohnung eine Rast in Aussicht zu stellen, da die Rast für die Kinder keine Belohnung, sondern eine physiologische Notwendigkeit ist. Wir Erwachsenen bleiben umso leistungsfähiger, je seltener wir rasten und je kontinuierlicher wir gehen. Wollen wir in einem Zug zum Ziel, gilt für Kinder genau das Gegenteil. Auch wenn diese während der "Rast" herumtollen und spielen, erholen sie sich dabei.
Regelmäßige "Spielpausen", in denen die Kinder ausreichend Zeit bekommen, sind wichtig zur aktiven Erholung. Selbstverständlich werden in diesen Spielpausen auch Hunger und vor allem Durst gestillt. Die wohlverdiente Stärkung ist schließlich nicht nur für uns Erwachsene ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen Tour. Natürlich haben wir auch in den Pausen ein Auge auf unsere Kinder und stehen ihnen gegebenenfalls hilfreich zur Seite.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Kinder im Abstieg gerne laufen. Dadurch steigt die Stolper- und in Folge auch die Verletzungsgefahr. Die meisten Unfälle beim Bergwandern mit Kindern passieren deshalb im Abstieg. Um die Kinder einzubremsen, geht ein Erwachsener voraus. Ist der Steig rutschig und abschüssig steil, geraten Kinder häufig in Rückenlage.
"Mach an Buckl wie die Hex" hilft, um den Kleinen die richtige Körperhaltung mit der Verlagerung des Körperschwerpunktes nach vorne zu vermitteln. Kleineren Kindern helfen wir beim Abstieg, indem wir sie an die Hand nehmen oder sie stückweise tragen.
SicherAmBerg: Booklet Bergwandern
Sicher unterwegs auf Wegen und Steigen
1. Auflage 2017. ISBN 978-3-99066-000-3
Hrsg.: Österreichischer Alpenverein, Olympiastr. 37, 6020 Innsbruck
Autoren: Gerhard Mössmer, Michael Larcher, Thomas Wanner, Magdalena Habernig
Erhältlich unter www.alpenverein.at/shop > Publikationen > Lehrschriften